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05 Mrz 2024

Karsamstag, Tagebucheintrag von Johannes

In dieser Nacht kann ich nicht schlafen. Verzweifelt und unruhig wälze ich mich im Bett hin und her.

Immer, wenn ich meine Augen schliesse, sehe ich nur diese schrecklichen Bilder. Sie katapultieren mich zurück und ich durchlebe die letzten Stunden noch einmal. Der blanke Horror. Ich höre, wie die Peitsche erbarmungslos auf deinen Körper knallt und wie du vor Schmerzen laut schreist. Ich sehe, wie brutal sie zu dir sind. Unaufhörlich und voller Hohn schlagen sie auf dich ein. Es riecht nach Blut und Schweiss. Mein Gesicht ist nass von den vielen Tränen, die ich um dich weine. Und als sie den Hammer erheben, um dich ans Kreuz zu nageln, muss ich wegschauen. Ich kann das nicht mehr mitansehen. Diese Brutalität an meinem Freund ist für mich schwer auszuhalten. Als sich der erste Nagel in deine Hand bohrt, schreist du laut auf. Deine Schreie, ich fühle sie in meinem Körper, als wären es meine eigenen. Innerlich schreie ich mit dir, doch kein Laut kommt über meine Lippen. Ich bin vor Angst erstarrt.

Ich will, dass sie aufhören und dich in Ruhe lassen. Immer wieder sehe ich deinen blutenden Körper vor mir, deinen verzweifelten Blick, dein Gesicht verzogen von Schmerz und Leid. Ich stand daneben, als du, mein geliebter Freund, verspottet, angespuckt, ausgepeitscht und zu Tode gequält wurdest. Fassungslos und ohnmächtig stand ich da, unfähig mich zu bewegen. Ich fühlte mich so hilflos, der Situation ausgeliefert. Ich stand völlig neben mir. Ich musste zusehen, wie du qualvoll am Kreuz starbst. Gekreuzigt wurdest du, mein geliebter Freund, wie ein Verbrecher. Dich so sehen zu müssen, das raubt mir den Schlaf. Diese schrecklichen Bilder werden mich noch lange verfolgen.

 

Zu viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich kann es nicht verstehen!

Noch vor wenigen Tagen haben wir dich mit Palmzweigen gefeiert, als du auf dem Esel nach Jerusalem geritten bist. Gesungen haben wir für dich, dem versprochenen Messias, dem König Israels. Wir haben zusammen gelacht und gefeiert. Du warst mein bester Freund, mein Lehrer. Ich fühlte mich von dir angenommen und dir so nah. Ich habe dir mein Leben anvertraut. Ich habe mein Leben nach dir ausgerichtet und war die letzten Jahre eng mit dir unterwegs. Ich erlebte, wie Blinde durch dich wieder sehen konnten und Taube ihre Sprache wieder fanden. Wind und Wellen gehorchten dir und sogar Tote hast du wieder zum Leben erweckt! Du hast so viele Wunder getan! Doch keines davon passierte am Kreuz!

Deine letzten Worte waren: «Es ist vollbracht!» Du neigtest den Kopf und dann warst du still. Du bist gestorben. Wie versteinert stand ich vor dem Kreuz. Tränen liefen mir weiter übers Gesicht, neben mir brach deine Mutter schreiend zusammen. Entsetzen machte sich in mir breit. Ich konnte das alles gar nicht fassen. Alles fühlte sich so dumpf und leer an. Ich weiss gar nicht mehr, wie lange ich vor dem Kreuz stand und in dein totes Gesicht starrte. Ich wartete darauf, dass du wieder atmen würdest. Doch vergeblich. Nichts passierte. Absolut nichts geschah. Was soll das alles? Es wäre doch ein Leichtes für dich gewesen, dich zu verteidigen, du bist doch der Sohn Gottes! Und du bist unschuldig in allen Anklagepunkten! Wieso hast du diese Schläge, die Demütigungen und deinen brutalen Tod einfach so hingenommen? Bis zum Schluss habe ich gehofft und erwartet, dass du dich wehrst. Dass sich Gott offenbart und du vom Kreuz hinabsteigen würdest. Du warst doch unsere Hoffnung! Habe ich mich so in dir getäuscht? Jesus, hast du dich geirrt?

 

Dann diese Schuldgefühle. Ich habe dich in der letzten Nacht beim Garten Gethsemane im Stich gelassen. Du hast mir gesagt, was geschehen wird, dass es dir nicht gut geht und du möchtest, dass ich bei dir bleibe. Es tut mir leid, habe ich nicht mit dir gebetet. Wenn ich gewusst hätte, was dich in dieser Nacht erwartet, Jesus ich wäre dir nicht von der Seite gewichen. Ich wäre wach geblieben! Hätte ich etwas tun können? Deinen Tod verhindern können? Hätte ich mich gegen die Soldaten wehren sollen?

 

Wie soll mein Leben jetzt weitergehen? Dein Tod hat alles verändert. Von einem Moment auf den anderen ist mein Leben nicht mehr so, wie ich es geplant und mir vorgestellt habe. Meine ganze Hoffnung, meine Träume sind wie Seifenblasen geplatzt. Die Zeit ist stehen geblieben. Erbarmungslos dreht sich die Welt weiter, als ob sie nicht wüsste, dass du fehlst. Lieber Freund, ich vermisse dich so sehr, dass es weh tut. Ich fühle mich leer und einsam. Total verlassen. Du fehlst mir Jesus. Du bist tot. Du bist einfach gestorben und du hast mich hier zurückgelassen. Ich warte den ganzen Tag darauf, dass du plötzlich zur Tür hineinkommst und ich mir das alles nur eingebildet habe. Dass alles nur ein schlechter Traum war. Nichts und niemand kann mich trösten. Ich habe keinen Hunger, keinen Durst. Ich habe den ganzen Tag nur um dich geweint.

Und in all dem Schrecklichen übertrugst du mir die Verantwortung für deine trauernde Mutter. Was hast du dir dabei gedacht? Wie soll ich sie versorgen, wenn ich selbst nicht weiss, wie es weitergehen soll? Die Zukunft macht mir Angst! Ich habe alles aufgegeben und um deinetwillen zurückgelassen. Nur um dir nachzufolgen. Meine Familie, meinen Beruf, meine Heimat – alles. Ich habe meine ganze Hoffnung auf dich gesetzt. Jetzt muss ich mich vor den Juden verstecken. Wird es mir am Ende genauso ergehen wie dir? War dein Leben, dein Wirken und deine Botschaft umsonst?

 

 

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