fasten
26 Apr 2024

„Fasten? Echt jetzt?“

Das dachte ich, als ich das Thema unserer dritten Staffel von «Rule of Life» sah. Fasten war bei mir im letzten Jahrzehnt so ziemlich in Vergessenheit geraten. In den vergangenen Monaten habe ich einen neuen Zugang dazu gefunden – und bin immer noch dran.

Als ich Jugendpastor in Zug war (2004-2011), verdonnerte uns der leitende Pastor hin und wieder zu einer zwei- bis dreitägigen Fastenzeit. Ich war jeweils wenig begeistert. Im Englischen gibt es die Wortschöpfung «hangry» – eine Mischung aus hungry (hungrig) und angry (wütend). Fasten brachte mich unweigerlich in diesen leicht aggressiven Zustand, in dem man sich fragt, was denn bitte schön der Sinn einer solchen Übung sei. Wem nützt es, wenn wir uns selbst quälen? Dass mein Arbeitsplatz gleich gegenüber dem McDonalds lag, hat dabei auch nicht geholfen.

Rule of Life
Seither sind mehr als zehn Jahre vergangen, in denen ich nicht fastete – und mit Fasten meine ich den Verzicht auf jegliche Nahrung und nicht sonstige Verzichtsübungen (Social Media, Süssigkeiten, Alkohol etc.), die durchaus sinnvoll, in ihrer Wirkung aber vom Fasten zu unterscheiden sind. Der Nahrungsentzug hat einen spezifischen Effekt auf unseren Körper und damit auf uns als Person, den andere Enthaltsamkeitstrainings nicht haben.

Vor einem Jahr starteten wir in unserer Kirche – der BewegungPlus Grenchen – ein Projekt mit dem Titel «Rule of Life». Halbjährlich widmen wir uns seither einem «geschichtlich bewährten» Element eines Lebensstils in der Nachfolge von Jesus. Es gibt jeweils vier Sonntage dazu. Die eigentliche Arbeit liegt dann aber in den darauffolgenden Monaten. Da geht es darum, diese Praxis ins eigene Leben zu integrieren und entsprechende Gewohnheiten zu etablieren (wer mehr darüber wissen möchte, findet unter www.bewegungplus-grenchen.ch/rule-of-life/ mehr Infos).

Nach den ersten zwei Staffeln zum Thema «Sabbat» und «Gebet» folgte diesen Frühling nun eben, oh Schreck: Fasten. Echt jetzt?, dachte ich und erinnerte mich an meine hangry Zeiten in Zug. Einen Moment lang war ich versucht, das Thema zu überspringen, aber da ich das Material jeweils zusammen mit einem Freund erstelle, rang ich mich durch: So sei es denn nun halt. Zur Vorbereitung tauchte ich in die Unterlagen ein, beschäftigte mich mit dem Fasten in der Bibel und den Erfahrungen der letzten zwei Jahrtausende – und wurde davon überrascht, wie präsent diese Praxis überall war und wie es mir gelungen war, sie in der Vergangenheit erfolgreich auszublenden.

Fasten hat in der Kirchengeschichte eine lange und konstante Tradition. Und zwar nicht nur das Fasten in der Passionszeit oder zu speziellen Zeiten der Not oder Trauer, sondern – und das war neu für mich – ein regelmässiges Fasten an einzelnen Wochentagen. Traditionellerweise waren es der Mittwoch und Freitag, an denen, in Erinnerung an die Gefangennahme und Hinrichtung von Jesus Christus, auf Nahrung verzichtet wurde.

Zögerliche Versuche
Daran anknüpfend bestand die vorgeschlagene Übung für unser Kirche darin, regelmässig einen Tag pro Woche zu fasten. Ich wählte den Freitag. Ab Anfang März wollte ich vom zu Bett Gehen am Donnerstagabend bis am Freitag um 18 Uhr nichts essen und nur Wasser und – um der Vermeidung der Kopfschmerzen willen – schwarzen, ungezuckerten Kaffee trinken (dessen Nährwert so ziemlich bei null liegt). Mit mulmigem Gefühl schaute ich dem ersten Freitag entgegen. Würde ich mir und meinem Umfeld mit einer aggressiven Stimmung den Tag verderben? Dass ich dabei mit Menschen aus der Kirche verbunden war, die das gleiche oder ein ähnliches Experiment wagten, half mir. Ich hatte Leidensgenossen an meiner Seite.

Der erste Freitag ging erstaunlich glimpflich vorüber. Aber ja, ich hatte Hunger. Und ich war konfrontiert mit der Frage, wie ich diesen Tag denn nun gestalte. Einfach früher ins Büro gehen und über den Mittag durcharbeiten war ja nicht im Sinn der Sache. Geholfen hat mir dabei ein Text aus dem Evangelium.

Das Verhältnis von Jesus zum Fasten bringt nämlich eine gewisse Ambivalenz zutage: Zwar startete er seine aktive Zeit mit einer 40-tägigen Fastenzeit und sprach über das Fasten als ein selbstverständliches Element der Spiritualität (Matthäus 6,16-18). Handkehrum zeichnete er sich gerade dadurch aus, dass er NICHT regelmässig fastete und damit offenbar auch sein Umfeld irritierte. Als «Fresser und Säufer» verschrien (Lukas 7,34), wurde er eines Tages mit der Frage konfrontiert, warum er und seine Jünger sich eigentlich erlaubten, nicht regelmässig zu fasten?

Der entrissene Bräutigam
Seine Antwort begleitet mich seither – gerade jeweils am Freitag: «Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Doch es werden Tage kommen, da ihnen der Bräutigam entrissen wird, und dann werden sie fasten» (Matthäus 9,14-15).

Ich verstehe die Antwort von Jesus so, dass er mit dem Bräutigam sich selbst meint und deshalb die drei Jahre seines Wirkens als Zeit des Feierns, der Freude über das Nahekommen und Sichtbarwerden von Gottes Reich verstanden hat: Wunder und Zeichen, Feiern und Festen, das Geniessen der Schöpfung, das miteinander Essen – für den Himmel braucht er das Bild von einem herrlichen Hochzeitsmahl – all das geschieht schon hier und jetzt. Das Reich Gottes ist mitten unter uns, und Jesus verwandelte als Zeichen dafür Wasser in Wein der Extraklasse. Fazit: Nachfolger von Jesus haben Grund zum Feiern.

Aber es ist nicht die ganze Wahrheit und somit auch nicht die ganze Antwort von Jesus: «Es werden Tage kommen, da ihnen der Bräutigam entrissen wird, und dann werden sie fasten.» Ich glaube nicht, dass dies nur die zwei Tage zwischen Karfreitag und Ostersonntag waren. Vieles in unserer Welt – und in den letzten Jahren ist gerade aus globaler Perspektive einiges dazugekommen – zeugt von diesem entrissenen Bräutigam: Da ist viel Unerfülltes, Noch-nicht-Reich-Gottes, sehnsüchtig Wartendes, das schreit: Dein Reich komme! Herr, hilf! Und genau für diese Seite ist das Fasten ein Ausdruck. Ein ganzheitlicher, ernsthafter Ausdruck für meine persönlichen Zerrissenheiten sowie die Solidarität mit den Menschen und Situationen, bei denen das Leid und Unrecht zum Himmel schreit.

Meine Freitage und die «leeren» Essenszeiten fülle ich deshalb bewusst mit Stille und Gebeten, die aus dieser Sehnsucht kommen: mit Fürbitten. Der Gang in die schöne Burgdorfer Kirche, die am Freitagmittag fast immer leer ist, hilft mir dabei. Der äussere Hunger trifft und stärkt den inneren Hunger. Es ist nicht einfach ein «Ja ja, wäre noch schön». Die körperliche Sehnsucht nach Essen lässt mich auch mal hangry beten – für die Menschen im Krieg, für die schwer atmende Erde, für die vielen Kinder, die physisch oder psychisch in katastrophalen Verhältnissen aufwachsen, für leidende Freunde.

Es gibt Zeiten des Feierns und Zeiten der Not. Mühsamerweise verschmelzen sie in meinem Leben oft parallel ineinander: Während der eine Freund endlich von seinen stechenden Nackenschmerzen geheilt wurde, erhält der andere eine Krebsdiagnose. Lachen und Weinen vermischt sich. In diesem Wechselbad von Festen und Fasten ist unser Leben in der Nachfolge von Jesus Christus angesiedelt. Der neue Wochenrhythmus hilft mir dabei: sowohl beim Feiern (an den übrigen sechs Wochentagen oder am Freitagabend geniesse ich das Essen und das Gute, das Gott tut, umso mehr), aber eben auch beim Mitklagen und -beten, dass der Bräutigam doch unsere Orte des Schreckens in gedeckte Tische der Hochzeit verwandeln möge.

Ich bin immer noch am Lernen, diesen Rhythmus zu finden und meine Fastentage zu gestalten. Und es ist noch immer nicht so, dass ich mich auf sie freue. Am Donnerstagabend schleicht sich nicht selten eine gewisse Wehmut ein. Aber ich habe beschlossen, das vorläufig noch weiterzuziehen und bin gespannt, wohin es mich bringen wird.

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